Vor 20 Jahren wanderten zwei ehemalige Direktionsangestellte der UBS nach Thailand aus und gründeten dort die Organisation Child’s Dream. Darüber sah ich vor einigen Jahren zufällig einen Dok-Film im Schweizer Fernsehen. Seit dann wollte ich diese Organisation besuchen. Mittlerweile arbeiten hier rund 70 Leute.
Im Fokus von Child’s Dream stehen Ausbildung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Familien. Child’s Dream arbeitet nicht direkt mit den Kindern, sondern unterstützt und begleitet ausgewählte Organisationen, die bereits lokal in diesen Feldern tätig sind.
Ich besuche das Hauptquartier in Chiang Mai. Björn, den Regional Operations Manager, «kenne» ich bereits ein bisschen von den freundlichen Mails der letzten Jahre. Er führt mich durch die Büros und stellt mich den Mitarbeitenden vor. Die Atmosphäre ist einladend und unkompliziert; die beiden Gründer Daniel und Marc haben hier kein «Corner-Office», sondern ein normales Pult in einem mittelgrossen Büro, das sie sich mit mehreren Mitarbeitenden teilen.
Marc ist zurzeit ausser Haus, doch Daniel ist hier und erzählt mit grosser Freude, dass die Organisation dieses Jahr im Oktober ihr 20-jähriges Jubiläum feiert. (Ich muss gestehen, dass ich unmittelbar nach dem Film skeptisch war, ob sich die beiden Aussteiger auch längerfristig zu einer humanitären Organisation verpflichten würden.)
Child’s Dream ist in 4 Ländern - Thailand, Laos, Kambodscha und Myanmar - tätig. Die politischen Gegebenheiten sind in den einzelnen Ländern völlig unterschiedlich, was die komplexe Zusammenarbeit mit der Regierung sowie den lokalen Hilfswerken und Organisationen wesentlich beeinflusst. In Myanmar ist weiterhin Bürgerkrieg; die dortigen Mitarbeitenden mussten aus Sicherheitsgründen das Land verlassen und arbeiten nun von Chiang Mai aus.
Viele Migrantinnen in Thailand haben überhaupt keine oder keine anerkannten Papiere. Dementsprechend gross ist die Gefahr, dass sie wirtschaftlich oder sexuell ausgebeutet werden. Die Organisation unterstützt Programme zur Ausbildung und zum Schutz dieser Kinder und Jugendlichen.
Weitere Unterstützungsformen im Bildungsbereich sind Stipendien, die jeweils an gleichviele Frauen wie Männer gehen. Auch hier werden die Studierenden begleitet und die Erfolge regelmässig evaluiert. Einige Stipendiat:innen arbeiten nach Abschluss des Studiums in einer Organisation, die von Child’s Dream unterstützt wird und erhalten dadurch einen idealen Berufseinstieg. (Zufällig arbeitet die Taxifahrerin, die mich später in die Berge fährt, teilzeitlich an einer Schule für Flüchtlinge und Migrant:innen, die von Child’s Dream unterstützt wird. Sie erzählt begeistert von der sozial engagierten und gleichzeitig auf finanzielle und organisatorische Effektivität bedachte Arbeitsweise.)
Beim Besuch der Küche treffe ich Ta beim Mittagessen mit anderen Kolleg:innen. Sie ist die Leiterin des Children’s Medical Fund (CMF), der Child's Dream direkt angegliedert ist. Heute ist Ta im Hauptquartier, weil ein Meeting stattfindet, in welchem Anliegen besprochen und gemeinsam Lösungen entwickelt werden. Spontan lädt sie mich ein, am nächsten Tag zusammen mit zwei mit Mitarbeitenden das Safe House des CMF zu besuchen. Dort werden Säuglinge und Kleinkinder nach einer Spitaloperation weitere Wochen und Monate betreut.
Kinder mit einem lebensbedrohenden Geburtsfehler – meist am Herzen oder am Schliessmuskel – werden durch die lokalen Spitäler dem Children’s Medical Fund gemeldet und im Spital in Chiang Mai operiert.
Gemeinsam besuchen wir zwei Knaben, welche unmittelbar nach der Operation noch im Spital sind, bevor sie dann zusammen mit einem Elternteil ins Safe House in die Nachsorge kommen. Der eine ist erst wenige Wochen alt, beim anderen war nach Jahren eine weitere Operation nötig. Ta erkundigt sich bei den Angehörigen und beim Spitalpersonal sowie im Rechnungswesen nach der Situation sowie allfälligen Anliegen. Der thailändische Staat subventioniert die Operationen für Patient:innen, die durch Nicht-Regierungs-Organisationen zugeteilt werden, mit 20%, die teureren Operationen sogar mit 30%. Operationsverlauf und Genesungsprozess werden im Childrens’ Medical Fund detailliert evaluiert und die Ausgaben auf ihre Wirkung geprüft.
Dass es zwei Knaben sind, ist nur zum Teil Zufall: Die Häufigkeit der Geburtsfehler, die operiert werden müssten, ist gleich verteilt, doch lebten im Safe House letztes Jahr insgesamt 151 Knaben und 129 Mädchen. Das liegt gemäss Ta daran, dass Familien die grossen Strapazen, die sie für eine Operation und die mehrwöchige Nachsorge auf sich nehmen, eher für männliche Nachkommen leisten und im Zweifelsfall das Mädchen sterben lassen. Sehr traurig, aber auch eine Realität – auch wenn das Ungleichgewicht weniger krass ist, als ich es vermutet hätte.
Der Spitalbesuch an sich ist bereits ein Erlebnis. Vor dem Eingang steht eine Buddha-Statue. (Generell fällt mir in Asien auf und berührt mich, wie selbstverständlich die Religion in den Alltag integriert ist.) Das Wartezimmer ist wie in einem Flughafen bestuhlt es gibt ein Ticketing-System wie bei der Post. Es gibt eine Abteilung für staatlich subventionierte Versicherte (mit Wartezeiten bis zu einem Tag, weil alle auch bei Erkältungen direkt ins Spital gehen) und eine für Selbstzahlende bzw. Privatversicherte. Routinemässig wird immer ein Folgetermin vereinbart. Dieser wird nicht abgesagt, und wer keine Beschwerden mehr hat, geht einfach nicht mehr hin. Das Spital hat einen qualitativ ausgezeichneten Ruf. Wie Ta erzählt, hatte der frühere thailändische König in den 1960er Jahren in der Schweiz studiert und einiges aus dem schweizerischen Gesundheitssystem übernommen.
Im Safe House treffen wir die Kinder mit ihren Elternteilen sowie das kleine Team des Children’s Medical Fund.
Die Mitarbeitenden schlafen ebenfalls im Safe House, damit rund um die Uhr immer jemand für Kinder und Eltern da ist. Sie haben zwar freie Tage, doch kaum ein ausgedehntes Privatleben ausserhalb des Jobs. Ta arbeitet seit über 10 Jahren hier und hat ihre Berufung gefunden. Neben der Führung der drei Mitarbeitenden ist sie verantwortlich für die Nachsorge der Kinder, das Wohl der Angehörigen, die Zusammenarbeit mit Geldgebenden, mit dem Spital in Chiang Mai und den lokalen Spitälern, welche die Kinder anmelden, sowie für die gesamte Administration, Budgetierung, Abrechnung und Evaluation.
Die Angehörigen sind in einer kritischen Lebenssituation, weg von zuhause und mit einem Kind, das eine komplizierte Operation durchmachen musste. Einige bringen die ethnischen Konflikte aus ihrem Land ins Safe House mit. Neben all ihren anderen Aufgaben vermittelt Ta auch bei Auseinandersetzungen – und versprüht dabei eine unglaubliche Lebensfreude.
Der Besuch im Medical Fund zeigt mir deutlich, dass die Art der Arbeit von Child’s Dream einen sehr langfristigen und kontinuierlichen Einsatz erfordert, damit sie auch eine nachhaltige Wirkung zeigt.
Ich habe mich gefragt, was es möglich machte, dass die beiden Gründer ihr Leben auch nach 20 Jahren immer noch mit voller Überzeugung für Organisation einsetzen. Natürlich ist der Unterstützungsbedarf für Kinder und Jugendliche aus armen Familien unendlich gross, und das Wissen darum, etwas Wichtiges zu leisten, ist ein starker Motivator. Doch ich denke, die grundlegende Antwort hat Daniel im Dok-Film gegeben: Sie haben sich vor 20 Jahren in das Land verliebt - und sie sind es immer noch.
Liebe Elisa
In den letzten Tagen habe ich oft und intensiv an dich gedacht. Wie die Zeit vergeht. Mir kommt es vor als ob du erst kürzlich die Reise angetreten hast aber es sind schon einige Monate. Dein Bericht ist spannend und eindrucksvoll. 20 Jahre! Ist ja wahnsinnig. Hut ab.
Du bist jetzt in Indien und ich freue mich auf deinen weiteren Blog.
Hebs guet und liebe Grüsse
Eliana
Sehr spannend und beeindruckend - vielen Dank.
wieder mal eindrücklich, Danke Elisa. Gibt es den erwähnten Film wohl noch ifrgendwo zu sehen und könntest Du den Link teilen? Liebe Grüsse Gabi
Sehr beeindruckend, dieses ungebrochene Engagement! Wie lange wirst du in Chiang Mai bleiben? Und wo übernachtest du dort? Weiterhin alles Gute 🙏